Dienstag, 12. Februar 2008

Fluchtpunkt: Westen

Die Mythen des amerikanischen Car-Chase Films


USA, Mitte der 60er Jahre: Hippie-Kultur, Studentenbewegungen, Frauenemanzipation, Vietnam-Krieg und neue gesellschaftliche Realitäten stürtzten das alte Hollywood in eine Krise sondergleichen. Niemand war mehr interessiert an den Filmen alteingesessener Studiofurze wie Jack L. Warner, die der Realität bereits vor etlichen Jahren den Rücken kehrten. Hollywoodlegenden starben entweder aus (Humphrey Bogart) oder wurden alt (John Wayne) und alles was die Studiobosse unternahmen war das Publikum mit Monumentalfilmen und Musicals in Schach zu halten. Die Genrefilme wie man sie bis dato kannte konnten nur noch ihre eigenen Klassiker rezitieren und fanden kein Publikum mehr. Der Suzid des alten Hollywood ermöglichte es jedoch jungen Regisseuren ihre eigenen Ideen zu etablieren und somit auch den Nerv der Zeit zu treffen: das New Hollywood war geboren.

Neben dieser Entwicklung, konnte man auch insbesondere eine Etablierung des B-Movies wahrnehmen: Italo-Western (Dollar-Trilogie), Horrorfilme (Night of the Living Dead) und Car Chase Filme erfreuten sich in Drive-In Kinos zunehmender Beliebtheit. Im New Hollywood verschmelzten sich Massenunterhaltung, Gesellschaftskritik und B-Movie. Die alten Helden, wie z.B. all jene Cowboys mit weissem Hut, bekannt aus unzähligen Western, starben aus und wurden durch mehrdimensionale, gebrochene Figuren ersetzt. Dies Geschah nicht nur im Western-Genre (the Wild Bunch) sondern auch in Action-Thrillern: Bullitt (1968) war einer der ersten dieser Art (auch wenn er sich nicht eindeutig zum New Hollywood einordnen lässt). Neben seiner A-Klasse Unterhaltung bietet der Film auch einen glaubhaften (Anti-)Held in Form des Lt. Frank Bullitt (gespielt von Steve McQueen) und eine unglaubliche Autoverfolgungsjagd die zum Hauptstück des Films gehört. Der Film und sein Hauptcharakter waren absolut Stilbildend und erschufen einen neuen Prototyp des polizeilichen Anti-Helden (wie z.B. in French Connection oder Dirty Harry). Diese Figuren unterscheiden sich nur geringfügig von den Figuren zahlreicher Neo-Western in denen die einsamen Figuren mit ihren festen Prinzipien mit der neuen Umwelt, die von politischer Korruption und dergleichen beherrscht wird, nicht umzugehen wissen, fast so als wären sie aussterbende Prototypen. Statt auf Pferden zu reiten fahren die Cowboys des neuen Westens amerikanische Muscle-Cars wie den 68er Ford Mustang oder den 68er Dodge Charger, die plötzlich selbst zu den großen Ikonen der USA werden.


Doch das Genre der Roadmovies und insbesondere der Car Chase Filme konnten mehr ausdrücken als nur rein persöhnliche Werte: Nach dem Riesenerfolg des Hippie-Roadmovies Easy Rider (1969) war es vorallem Vanishing Point (zu deutsch: Fluchtpunkt San Francsico, 1971) der dem Roadmovie und insbesondere dem Akt des verfolgt werdens, aus Filmhistorischer Sicht betrachtet, eine neue poltische Tiefe verlieh. Die Geschichte von Vanishing Point klingt im ersten Moment nur allzu simpel: der Ex-Rennfahrer Kowalski (Barry Newman) soll einen weissen Dodge Challenger von Denver nach San Francisco überführen. Aufgrund einer Wette soll er die Strecke innerhalb von 15 Stunden zurücklegen und um dies zu bewerkstelligen pumpt sich Kowalski einerseits mit Amphetaminen voll um wach zu bleiben wobei er andererseits diverse Geschwindigkeitsbegrenzungen missachtet, die die Polizei (der Kowalski einmal selbst angehörte) auf den Plan rufen. Unterstützung erhält der Verfolgte von diversen Randfiguren der Gesellschaft wie z.b. einem Hippie-Paar oder dem schwarzen Discjockey Super Soul (Cleaven Little), der den Polzeifunk abhört und Kowalski im Radio diverse Warnhinweise gibt. Kowalski bricht zwar Geschwindigkeitsbegrenzungen, bleibt aber eine höchstmoralische Figur die jeden den sie begegnet gleich und ohne Bigotterie behandelt. Nicht nur der Polizei sondern auch der Gesellschaft ist diese Form der Freiheitsliebe ein Dorn im Auge: Normalbürger überfallen Super Souls Radiostation und schlagen ihn zusammen. Kowalski selbst erreicht sein Ziel (San Francisco, die Hauptstadt der Love-Generation) letztendlich auch nicht, rast lächelnd gegen eine Straßensperre und stirbt. Sein letztes Lächeln ist allerdings kein Symbol für einen Märtyrertod sondern schlicht und ergreifend der Optimismus es doch noch schaffen zu können. Der Grundton des Films ist im Endeffekt also ein pessimistischer Abgesang auf die Outlawmentalität einer ganzen Kultur die von Liebe und Freiheit träumte. Es gibt wohl kaum einen Film der das Lebensgefühl im Jahr 1971 besser einfängt als Vanishing Point. Betrachtet man dieses Jahr nämlich, so kann man es ein Jahr des Umbruchs nennen (ähnliches Tat auch Hunter S. Thompson für den 1971 die große Welle, bestehend aus Hippie- , Drogen-, und Outlawkultur, letztendlich brach und zurückrollte) : Studentenproteste wurden Brutal von Polizei zerschlagen, die Charles Manson Bande schlachtet Sharon Tate ab, Ikonen wie Jim Morrison sterben, Die Drogenkultur hinterlässt Krüppel, Nixon ist Präsident und ein allgemeiner Pessimismus macht sich breit. In Vanishing Point werden der letztendlich fehlgeschlagene Optimismus der Love-Generation in einem Dodge Challenger transportiert, das Ziel, die Hippie-Hauptstadt San Francisco, wird jedoch nie erreicht. Der Dodge Challenger wurde zu einem amerikanischem Freiheitssymbol, ähnlich wie die Chopper der Hells Angels oder die Freiheitsstatue für die New Yorker Imigranten.

Ebenfalls 1971 erschien auch ein weiteres, leider etwas ins Abseits geratene, Meisterwerk welches allerdings nur oberflächlich dem Car-Chase- oder dem Road-Movie -Genre zugeordnet werden kann: Two-Lane Blacktop von Monte Hellman. Ein außergewöhnlicher Film der in seiner existenzialistischen Art den Optimismus der 60er und sogar den Pessismismus überwunden zu haben scheint: die Hauptfiguren, the Driver (James Taylor) und the Mechanic (Dennis Willson), sind zwar frei aber in gewisser Weise auch leer. Sie rebellieren nicht, sind keine Outlaw-Märtyrer wie Kowalski und scheinen den Zustand jeglicher Sinnlosigkeit aktzeptiert zu haben. Für sie, diese beiden Fremden, ist das Autorennen keine echte Leidenschaft, eher Zeitvertreib (dafür aber der Beste). Den beiden Hauptfiguren schliesst sich der Freigeist the Girl (Laurie Bird) an, die so plötzlich wie sie zu Anfang des Films in dem Wagen der beiden sitzt auch so plötzlich gegen Ende des Films wieder verschwindet und mit einem anderem Unbekannten weiterzieht. Dazwischen gibt es ein bedeutungsloses Rennen mit dem G.T.O. (Warren Oates), der sich in diesen seltsamen Zeiten nicht zurechtfindet und in dessen idiotischem Gehabe auch immer enorme Verzweiflung am eigentlichen Zeitgeist liegt. Das Rennen quer durch die USA endet im Nichts und der Film selbst auch: mitten in einem Drag-Race wird die Bildabfolge langsamer, das Zelluloid des Filmes verbrennt. Die 60er sind jetzt zu Ende.